Veranstaltung: | 44. Landesparteitag GRUENE LSA |
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Tagesordnungspunkt: | 4. Das Programm zur Landtagswahl von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen- Anhalt |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesparteitag |
Beschlossen am: | 24.04.2021 |
Eingereicht: | 28.04.2021, 00:19 |
Antragshistorie: | Version 1 |
V Migration und Integration
Text
V Migration und Integration
Einwanderung nach Deutschland und auch nach Sachsen-Anhalt ist Realität.
Menschen kommen in unserer Bundesland, weil sie hier nach Sicherheit, Arbeit und
einem Zuhause suchen. Sachsen-Anhalt kann Heimat für sie werden. Dafür wollen
wir uns einsetzen, denn noch ist unser Bundesland für viele Menschen nur
Durchgangsstation.
Ein Asylverfahren darf dabei nicht die einzige Chance für Menschen sein, die
einwandern möchten. Bedingt durch demografischen Wandel und einen immer
stärkeren Fachkräftemangel sind wir auf Zuwanderung von Menschen aus dem Ausland
angewiesen. Wir setzen uns deshalb auf Bundesebene dafür ein, dass ein
umfassenderes Zuwanderungsgesetz erarbeitet wird. Bis dahin wollen wir
landesseitig alle uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen, gelingende
Zuwanderung nach Sachsen-Anhalt zu ermöglichen.
Unser Land wird durch Einwanderung vielfältiger. Wir gestalten die
Einwanderungsgesellschaft mit und stellen uns den Herausforderungen. Gelingende
Zuwanderung ist ein wechselseitiger Prozess, der die Bereitschaft aller
Beteiligten voraussetzt, in unserer Gesellschaft zusammenzuleben.
Das Wahlrecht für Migrant*innen, die dauerhaft in Sachsen-Anhalt leben ist ein
wichtiger Baustein, um echte Mitbestimmung zu gewährleisten. Wir wollen uns
außerdem auf Bundesebene dafür einsetzen, den Erwerb der deutschen
Staatsangehörigkeit zu vereinfachen.
Humaner Umgang mit Geflüchteten
Wir stehen für respektvollen und zugewandten Umgang mit allen Menschen
unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus. Allen Menschen wollen wir daher Zugang
zu Sprachkursen, Bildungsmöglichkeiten, Ausbildung, Arbeitsmarkt,
Gesundheitsversorgung, Hilfs- und Unterstützungsangeboten jederzeit ermöglichen.
Die zentrale Unterbringung über einen längeren Zeitraum lehnen wir ab und
plädieren für eine dezentrale Unterbringung in den Landkreisen und kreisfreien
Städten. Die isolierte Unterbringung in zentralen Unterkünften ohne wirkliche
Privatsphäre stellt eine hohe Belastung für die Betroffenen dar. Die Corona-
Pandemie hat noch einmal aufgezeigt, dass diese Form der Unterbringung
ungeeignet ist und für die Betroffenen ein Gesundheitsrisiko darstellt.
Die bestehende Wohnsitzauflage gemäß § 12a Aufenthaltsgesetz hat sich als
unwirksam und als Belastung für die Betroffenen erwiesen. Wir wollen sie
streichen, ebenso wie den Erlass zum Integrationsschlüssel in Sachsen-Anhalt.
Wir verteidigen das individuelle Grundrecht auf Asyl. Wir setzen uns daher für
individuelle Verfahrensberatung, Zugang zu qualifizierten Dolmetscher*innen und
juristischer Beratung durch Anwält*innen, sowie zivilgesellschaftliche Träger
der Flüchtlingsarbeit ein. Wo humanitäre Aufenthaltstitel erteilt werden können,
soll diese Möglichkeit genutzt werden. Den Zugang zur Härtefallkommission wollen
wir erleichtern. Abschiebungen sind nur in unausweichlichen Fällen zu
vollziehen. Abschiebungen in Kriegsgebiete lehnen wir ab. Familien sind
grundsätzlich nicht zu trennen. Abschiebehaft und das Konzept der vermeintlich
"sicheren" Herkunftsstaaten lehnen wir grundsätzlich ab.
Landesaufnahmeprogramm schaffen
Die Bilder des brennenden Flüchtlingslagers Moria haben uns allen aufs Neue vor
Augen geführt, dass an den Rändern Europas Menschen unter Duldung der
europäischen Regierungen in inhumanen Verhältnissen leben müssen. Bisher haben
wir sie im Stich gelassen.
Wir setzen uns für eine humanitäre Flüchtlingspolitik ein, die Fluchtursachen
wirksam bekämpft, Geflüchtete in den Herkunftsländern unterstützt, sicheren
Transit ermöglicht und humanitäre Aufnahme in Europa solidarisch gewährleistet.
Das muss auch für alle gelten, die zum Teil bereits seit Jahren an den
europäischen Außengrenzen gestrandet sind.
Sachsen-Anhalt kann diese Krise nicht allein lösen. Aber wir können etwas tun,
um wenigstens in einigen Fällen das Elend zu lindern. Wir wollen ein
Landesaufnahmeprogramm initiieren, das die Aufnahme von Geflüchteten über den
bundesweiten Verteilerschlüssel hinaus ermöglicht.
LSBTIQ*-Flüchtlinge besser schützen
LSBTIQ* sind in vielen Ländern der Erde gefährdet oder verfolgt. Sie gehören
auch innerhalb der Gruppe der Geflüchteten zu den vulnerablen Personen. LSBTIQ*-
Geflüchtete sollen besonders berücksichtigt und unterstützt werden. Für diese
fordern wir ein unbürokratisches Aufenthaltsrecht. Außerdem sollen sie aufgrund
ihrer besonderen Gefährdungslage innerhalb von Gemeinschaftsunterkünften sofort
dezentral untergebracht werden. Umfangreiche Informationen über Beratungs- und
Hilfsangebote im LSBTIQ*-Bereich in ihrer Muttersprache sollen vom Land
bereitgestellt werden.
Zuwanderung erleichtern
Sachsen-Anhalt braucht Zuwanderung. Die Bevölkerung unseres Landes ist im
Durchschnitt besonders alt und schrumpft weiterhin. Ohne Zuwanderung wird sich
die demografische Lage absehbar nicht stabilisieren. Schon heute stellen
Überalterung und fehlender Nachwuchs ein spürbares Problem für die Wirtschaft
und das soziale Leben insbesondere in den ländlichen Räumen dar. Dennoch macht
es Sachsen-Anhalt Migrant*innen durch zu unübersichtliche Behördenstrukturen und
eine fehlende Willkommenskultur in den Behörden in vielen Fällen deutlich zu
schwer, hier Fuß zu fassen und heimisch zu werden. Wir wollen die
Verwaltungsstrukturen so ausgestalten, dass sie als Dienstleistungs- und
Willkommensbehörden für die Migrant*innen fungieren können. Die Erfahrungen der
Migrationsagentur des Burgenlandkreises wollen wir uns dabei zunutze machen.
Bei der Anerkennung ausländischer Schulabschlüsse und Berufsqualifikationen muss
das Land alle gesetzgeberischen Möglichkeiten nutzen, um die Anerkennung zu
erleichtern.
Die vom Bundesgesetzgeber geschaffene Möglichkeit der Ausbildungsduldung
ermöglicht einen Spurwechsel in den Arbeitsmarkt und einen ggf. dauerhaften
Aufenthalt für Menschen ohne Bleibeperspektive im Asylrecht. Wir wollen dieses
Instrument im Interesse der Betroffenen, der sachsen-anhaltischen Wirtschaft und
unseres Landes umfassend nutzen.
Unionszuwander*innen unterstützen
Die stärkste Gruppe an Zuwanderer*innen in Sachsen-Anhalt bilden die
Unionsbürger*innen. Um einen gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt und in
die Gesellschaft zu gewährleisten, ist es wichtig, dass grundlegende
Informationen in Behörden und öffentlichen Stellen zumindest in den am
häufigsten vertretenden EU-Sprachen verfügbar sind und dass Beratungsstellen für
Arbeitsrecht, Sozialrecht und Antidiskriminierung in diesen Sprachen beraten
können. Einfache Sprache in den Bereichen der öffentlichen Verwaltung mit
Bürger*innenkontakt macht es für alle Menschen leichter, mit Ämtern zu
kommunizieren.
Runden Tisch „Faire Beschäftigung von Migrant*innen“
einsetzen
Wir sehen gute Bildung als den besten Schutz vor Arbeitslosigkeit. Wir wollen
die Rahmenbedingungen so setzen, dass für zukunftsfähige Arbeitsplätze auch
Fachkräfte zur Verfügung stehen. Die europäische Arbeitsmarktintegration und die
Einwanderung sehen wir als Mittel gegen Fachkräftemangel und als Chance für
unseren Arbeitsmarkt.
Den Fachbeirat „Faire Beschäftigung für Migrantinnen und Migranten“ wollen wir
unter/mit der Beteiligung von Migrant*innenverbänden zu einem
interministeriellen und behördlichen Runden Tisch weiterentwickelt .Das
Modellprojekt der Bildungsvereinigung Arbeit und Leben „Beratung migrantischer
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ soll dauerhaft vom Land gefördert werden.
Nur so werden wir Möglichkeiten erhalten, die sinnvolle Zunahme ausländischer
Arbeitnehmer*innen strukturiert zu begleiten. Gegen ausbeuterische und illegale
Beschäftigung braucht das Landesamt für Verbraucherschutz mehr Personalstellen,
um die Kontrolldichte im Land zu erhöhen.
Ausländer*innenbehörden zu Willkommenszentren gestalten
Behördengänge sind für Migrant*innen in Sachsen-Anhalt oft eine besondere
Belastung, weil sie oft geringschätzig behandelt werden. Das wollen wir ändern.
Wir setzen uns dafür ein, dass ein Maßnahmenplan für das ganze Land entwickelt
wird, damit die Ausländer*innenbehörden im Land zu echten Willkommenszentren
werden. Dazu gehört für uns insbesondere sprachlich und interkulturell
qualifiziertes Personal. Eine Trennung der aufenthaltsrechtlichen Bearbeitung
von allen anderen Fragestellungen ist dabei unerlässlich, um einen fairen Umgang
zu sichern. Willkommen heißen und ankommen lassen – das zeigt sich auch in
klaren Strukturen, die jede*r nachvollziehen und verstehen kann. Deshalb wollen
wir in der Landesregierung die Kompetenzen für Zuwanderung und Integration im
Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration bündeln.
Migrantische Selbstorganisation stärken
Zusammenleben gelingt vor Ort und wächst von unten. Wir wollen migrantisches
Engagement fördern. Deshalb stärken wir migrantische Selbstorganisation durch
eine Förderrichtlinie des Landes.