Veranstaltung: | 44. Landesparteitag GRUENE LSA |
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Tagesordnungspunkt: | 4. Das Programm zur Landtagswahl von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen- Anhalt |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesparteitag |
Beschlossen am: | 24.04.2021 |
Eingereicht: | 28.04.2021, 00:13 |
Antragshistorie: | Version 1 |
II Justiz stärken
Text
II Justiz stärken
Die Justiz stellt eine zentrale Säule des Rechtsstaates dar. Wir wollen den
Herausforderungen begegnen, vor denen die Justiz in Sachsen-Anhalt mit hoher
Arbeitsbelastung und zahlreichen Altersabgängen in den kommenden Jahren steht.
Wir wollen den Justizbetrieb insbesondere auch an den kleineren
Gerichtsstandorten in den ländlichen Räumen Sachsen-Anhalts in guter Qualität
aufrechterhalten. Dafür braucht es eine auskömmliche Personalausstattung und
bessere Technik.
Beim Werben um qualifizierte Jurist*innen steht das Land im Wettbewerb mit den
anderen Bundesländern und der freien Wirtschaft. Sachsen-Anhalt muss daher alle
seine Möglichkeiten ausschöpfen, um als attraktiver Arbeitgeber wettbewerbsfähig
zu sein. Wir setzen auch in der Justiz auf eine Vielfalt von Karrierewegen und
Herkünften und wollen die Justiz interkulturell öffnen. Jurist*innen im
Landesdienst wollen wir verlässliche Karrierewege zur Verplanung anbieten sowie
individuelle Wünsche und Stärken berücksichtigen. Studienerleichterungen und
Stipendien sollen langfristig ermöglicht werden, um Jurist*innen an unser Land
zu binden. Das Feinkonzept zur Personalgewinnung wollen wir in diesem Sinne
weiterentwickeln.
Auch die Aus- und Fortbildung in allen Bereichen der Justiz muss die Bedarfe
einer immer vielfältiger werdenden Gesellschaft abbilden. Wir wollen die
interkulturelle Kompetenz der Justiz stärken und Themen wie Diskriminierung zu
festen Bestandteilen machen.
Digitalisierung der Justiz voranbringen
In Zeiten der Pandemie ist deutlich geworden, dass Sachsen-Anhalt bei der
Digitalisierung der Justiz weit hinter dem nötigen Standard liegt. So ist
Richter*innen und Staatsanwält*innen mobiles Arbeiten nicht möglich, digitale
Diktiertechnik ist zu wenig vorhanden. Bis zum 1. Januar 2026 ist der
elektronische Rechtsverkehr und die elektronische Akte umzusetzen. Die
Infrastruktur für die notwendige Digitalisierung der Justizarbeit wollen wir
deshalb vordringlich aufbauen.
Die Möglichkeiten der Videovernehmung wollen wir flächendeckend an allen
Gerichtsstandorten schaffen. Nach der erfolgreichen Einführung des E-Examens im
Assessorexamen wollen wir die Einführung auch in der ersten juristischen Prüfung
ermöglichen.
Die Digitalisierung der Justiz beginnt aber nicht erst im Gericht und bei den
Staatsanwaltschaften. Auch die Ausbildung von Jurist*innen muss vollständig
digitalisiert werden. Hierzu wollen wir das E-Examen auf alle juristischen
Staatsprüfungen ausweiten.
Hasskriminalität engagiert bekämpfen
Wir wollen die Beamt*innen in Sicherheitsbehörden und Justiz besser darin
ausbilden, Hasskriminalität zu bekämpfen und mit den Betroffenen sensibel
umzugehen. Wir verstärken deshalb die Pflichtfortbildungen in diesem Bereich und
wollen an jeder Polizeiinspektion im polizeilichen Staatsschutz eine
Kontaktperson benennen, die für die Bekämpfung von Hasskriminalität zuständig
ist. Eine Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft soll diese Fälle dann mit Konsequenz
und Expertise verfolgen. An diese soll die Empfehlung ergehen: Wenn ein Fall von
Hasskriminalität vorliegt, ist regelmäßig das besondere öffentliche Interesse an
der Strafverfolgung zu bejahen.
Resozialisierung im Strafvollzug stärken
Ziel des Strafvollzuges in Deutschland ist nicht primär die Strafe, sondern die
Resozialisierung der Täter*innen. An diesem Anspruch scheitert der Strafvollzug
in Deutschland und Sachsen-Anhalt jedoch viel zu oft. Viele kriminelle Karrieren
werden im Gefängnis eher verfestigt als beendet. Wir setzen uns daher für eine
Stärkung der pädagogischen und psycho-sozialen Arbeit mit den Gefangenen ein, um
die Ursachen der Delinquenz wirksam zu bekämpfen.
In Sachsen-Anhalt gibt es in den Justizvollzugsanstalten ein breites Angebot an
Maßnahmen der Resozialisierung beziehungsweise Wiedereingliederungen. Über die
Wirksamkeit dieser Maßnahmen und die Rückfallquoten entlassener Strafgefangener
liegen jedoch zu wenige Erkenntnisse vor. Wir wollen daher alle Maßnahmen der
Resozialisierung und Wiedereingliederung evaluieren. Aufbauend auf den
Ergebnissen wollen wir Reformvorschläge erarbeiten, um so die
Resozialisierungsarbeit in den Gefängnissen unseres Landes modern und
erfolgreich zu gestalten. Schwerpunkte bilden dabei der Vorrang ambulanter
Resozialisierung, der Opferschutz und die Deradikalisierungsarbeit. Im Anschluss
an die Strafhaft braucht es eine Führungsaufsicht und langfristige
Unterstützung, die zügig und angemessen reagieren kann.
Haft macht keine besseren Menschen. Wir setzen uns deshalb dafür ein, dass
Ersatzfreiheitsstrafen durch besser geeignete Instrumente wie gemeinnützige
Arbeit vermieden werden und wollen in Modellprojekten Alternativen zum
geschlossenen Strafvollzug prüfen. Wir stärken die Möglichkeit zum freiwilligen
Täter-Opfer-Ausgleich. Bei Bagatelldelikten setzen wir uns für eine Abkehr von
der Strafbarkeit und Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit ein.
Jugendstrafrecht zielgenau ausrichten
Wir sind entschieden gegen eine Verschärfung des Jugendstrafrechts. Im Umgang
mit jugendlichen Straftäter*innen muss grundsätzlich Hilfe und Unterstützung
Vorrang vor Bestrafung haben. Die Zusammenarbeit zwischen Familie, Einrichtungen
der Jugendhilfe, den Schulen, Ausbildungsstätten, Vereinen, Verbänden sowie
Polizei und Staatsanwaltschaften wollen wir erweitern und fördern. In
Jugendstrafverfahren wollen wir darauf drängen, dass die Gerichte und Behörden
bei aller Sorgfalt die Dauer von Prozessen minimieren. Tat und gegebenenfalls zu
erteilende Sanktion müssen in engem zeitlichen Zusammenhang stehen. Wir wollen,
dass alle Akteur*innen schon vor einem Gerichtsprozess strukturiert
zusammenarbeiten, um zeitnah mit den Jugendlichen Lösungsansätze zu entwickeln.
Schulschwänzen sollte keine mit einem Aufenthalt in einer Jugendstrafanstalt
bestrafbare Tat sein. Stattdessen wollen wir Jugend- und Schulsozialarbeit
stärken und Schulverweiger*innen konkret helfen und sie beraten.
Haftbedingungen von Frauen verbessern
In der JVA „Roter Ochse“ in Halle (Saale) werden Frauen in Untersuchungshaft und
mit kurzzeitigen Strafen untergebracht. Die meisten straffälligen Frauen werden
nach Brandenburg in die JVA Luckau-Duben verlegt. Das bedeutet eine große
Entfernung von der Familie und auch von möglichen eigenen Kindern. Es gibt für
Frauen aus Sachsen-Anhalt keine Mutter-Kind-Abteilungen.
Wir wollen zeitnah ermöglichen, dass Abteilungen für weibliche Strafgefangene
den Bedürfnissen von Frauen und Müttern gerechter werden und sie nicht mehr –
wie im „Roten Ochsen“ während einer durchaus längeren Untersuchungshaft – nur
Gäste in einer vorwiegend für Männer konzipierten Haftanstalt sind. Das betrifft
insbesondere Kontakt zu eigenen Kindern, Freizeitangebote, Arbeitsmöglichkeiten,
gesundheitliche und hygienische Versorgung.