Veranstaltung: | 44. Landesparteitag GRUENE LSA |
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Tagesordnungspunkt: | 4. Das Programm zur Landtagswahl von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen- Anhalt |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesparteitag |
Beschlossen am: | 24.04.2021 |
Eingereicht: | 28.04.2021, 00:12 |
Antragshistorie: | Version 1 |
I Öffentliche Sicherheit
Text
I Öffentliche Sicherheit
Personaloffensive fortsetzen und Ausstattung der Polizei
verbessern
Die Polizei kann ihrem anspruchsvollen Auftrag als Hüterin des sozialen Friedens
für alle Menschen in Sachsen-Anhalt nur gerecht werden, wenn sie über eine
angemessene Ausstattung und das notwendige vielfältig qualifizierte Personal
verfügt.
Wir setzen uns weiter für eine spürbare Erhöhung des Personals auf der Straße
und in der Kriminalpolizei ein. Erstmals seit 2011 ist unter grüner
Regierungsbeteiligung die Anzahl aktiver Polizeivollzugsbeamt*innen wieder
gestiegen. Hier arbeiten wir weiter. Wir streben eine Zahl von 7.000
Polizeivollzugsbeamt*innen bis 2026 an
Polizist*innen wollen wir von administrativen Aufgaben entlasten und ihnen damit
auch mehr Zeit für direkten Kontakt mit den Bürger*innen geben. Dafür stärken
wir die Polizeiverwaltung personell.
In der Landeshauptstadt Magdeburg und in Halle (Saale) wollen wir die
polizeilichen Strukturen vor Ort um eine Fahrradstaffel ergänzen, die nah an den
Bürger*innen für polizeiliche Präsenz sorgt.
Den Beförderungsstau bei der Landespolizei wollen wir auflösen und ausreichend
Beförderungsmittel im Haushalt bereitstellen, um anstehende Beförderungen auch
tatsächlich durchführen zu können. Wer höherwertige Dienstposten ausfüllt, muss
entsprechend bezahlt werden.
Im Wettbewerb um die besten Köpfe muss das Land alle Möglichkeiten ausschöpfen.
qualifiziertes Personal für die Landespolizei zu gewinnen. Dazu gehört, die
Polizei noch stärker für vielfältige Herkünfte und Lebensentwürfe zu öffnen und
als Arbeitgeber attraktiv zu machen. Wir wollen mehr Frauen, Menschen mit
Migrationsgeschichte und Quereinsteiger*innen für den Polizeidienst gewinnen.
Dafür sind auch die bestehenden Arbeitszeitmodelle zu modernisieren. Für
dringend benötigte Spezialist*innen, etwa im IT-Bereich, muss es auch
finanziellen Spielraum oberhalb des Tarifvertrags der Länder geben.
Die Aus- und Weiterbildung an der FH Polizei in Aschersleben wollen wir mit
interdisziplinären Ansätzen, Möglichkeiten für Praktika und Hospitationen
außerhalb der Polizei und mehr Kooperationen in der regionalen
Hochschullandschaft ebenso stärken wie die Autonomie der Hochschule, um
Forschung auch jenseits des Verantwortungsbereiches des Ministeriums für Inneres
und Sport zu ermöglichen.
Strafverfolgungsbehörden und Polizei für das digitale Zeitalter rüsten
Anlasslose Massenüberwachung erhöht die Sicherheit nicht, denn sie bindet
dringend notwendige Kapazitäten bei Polizei und Justiz und stellt eine
zusätzliche Gefahr für die informationelle Selbstbestimmung der Bürger*innen
dar. Wir wollen stattdessen Strafverfolgungsbehörden und Polizei personell und
organisatorisch für das digitale Zeitalter rüsten. Strafverfolger*innen müssen
personell und technisch so ausgestattet und ausgebildet sein, dass sie geltendes
Recht überall und zielgerichtet durchsetzen können, egal ob online oder offline.
Wir setzen uns dafür ein, dass Polizist*innen direkt vom Einsatzort alle
notwendigen Dokumentationsarbeiten erledigen können. Dafür muss die polizeiliche
IT-Infrastruktur umfassend ertüchtigt werden. Einsatz- und Führungsmittel wollen
wir weiter modernisieren.
Polizeiliche Datenbanken müssen regelmäßig auf ihre Notwendigkeit überprüft und
Löschfristen eingehalten werden. Eine Ausweitung der sogenannten Quellen-
Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) lehnen wir ab. Die
Vorratsdatenspeicherung, Online-Durchsuchungen und Einsatz von
Gesichtserkennungssoftware im öffentlichen Raum sind unverhältnismäßige
Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung.
Massenüberwachung im öffentlichen Raum lehnen wir ab. Verhindern lassen sich
(terroristische) Straftaten mit Videoüberwachung nicht. Eine Totalüberwachung
des öffentlichen Raums vom Marktplatz bis zum Bierzelt bleibt für uns mit den
Freiheits- und Selbstbestimmungsgrundsätzen des Grundgesetzes unvereinbar. Wo
Videoüberwachung stattfindet, setzen wir darauf, dass diese direkt durch die
Polizei eingesehen wird, um Straftaten nicht nur dokumentieren zu können,
sondern unmittelbare Hilfeleistung, Fahndung und Aufklärung zu ermöglichen.
Eine erfolgreiche Sicherheitspolitik stützt sich auf wissenschaftliche
Erkenntnis. Wir lehnen es ab, nach Gewalttaten die Sicherheitsgesetze reflexhaft
zu verschärfen. Unser Ziel ist, Straftaten mit Prävention zu verhindern. Daran
wollen wir unsere Sicherheitsarchitektur ausrichten. Neue Befugnisse für
Sicherheitsbehörden erhalten auch deshalb mit uns ein Verfallsdatum, bevor über
ihre dauerhafte Einführung beschlossen wird.
Demokratische Kultur bei der Polizei stärken
In den Polizeien in ganz Deutschland sind in den vergangenen Jahren
besorgniserregende Vorkommnisse mit rechtsradikalen, rassistischen,
antisemitischen, allgemein menschenfeindlichen oder antidemokratischen
Hintergründen bekannt geworden. Dies wiegt schwer, denn die Polizei hat eine
besondere Stellung im demokratischen Rechtsstaat.
Wir gehen fest davon aus, dass die überragende Mehrheit der Polizist*innen in
Deutschland und Sachsen-Anhalt die Werte des Grundgesetzes verinnerlicht und
ihren Eid aus Überzeugung geleistet hat. Die bekannt gewordenen Vorfälle sind
ein Warnsignal, das ernst genommen werden muss. Es ist notwendig zu wissen, wie
weit menschen- und demokratiefeindliche Einstellungsmuster innerhalb der Polizei
verbreitet sind. Wir wollen, dass das Land Sachsen-Anhalt sich an einer
unabhängigen wissenschaftlichen Studie beteiligt, die fortlaufende Erkenntnisse
zu Einstellungsmustern der sachsen-anhaltischen Beamt*innen liefert, um
antidemokratischen Tendenzen wirksam entgegensteuern zu können. Demokratie- und
menschenfeindliche Vorkommnisse in den Sicherheitsbehörden erfassen wir in einer
fortlaufenden Statistik.
In der Polizeiausbildung wollen wir die demokratische politische Bildung weiter
stärken. An die Stelle einer hermetisch abgeschlossenen Cop-Culture muss eine
Kultur der inneren Führung treten, in der es selbstverständlich ist, Fehler
offen zu analysieren Missständen in den eigenen Reihen entgegenzuwirken.
Polizeibeauftragte*r und Whistleblower*innen-Regelung
Zu einem souveränen Staat gehört eine funktionierende Fehlerkultur: Die
staatlichen Vertreter*innen sind ansprechbar, reflektieren und handeln mit
offenem Visier. Sie begründen ihr Handeln nachvollziehbar und setzen sich
transparent mit den Argumenten anderer auseinander.
Eine gute Polizei braucht unabhängige und demokratische Kontrolle. Dass
Missstände innerhalb der Sicherheitsbehörden vor allem durch anonyme Hinweise
ans Tageslicht kommen, zeigt, dass die bestehenden Mechanismen interner
Kontrolle noch unzureichend sind. Hier wollen wir eine neue Kultur der
Transparenz etablieren. Wir wollen gesetzlich sicherstellen, dass
Hinweisgeber*innen (Whistleblower*innen) vor Repressionen geschützt werden, wenn
sie Missstände gegenüber den Kontrollinstanzen ans Tageslicht bringen.
Zur Stärkung von Rechtsstaat und Polizei wollen wir die bisher beim Ministerium
für Inneres und Sport angesiedelte Beschwerdestelle zu eine*m unabhängige*n
Polizeibeauftragte*n weiterentwickeln, an den*die sich Polizist*innen
vertraulich und ohne Beachtung des Dienstwegs wenden können. Der oder die
Polizeibeauftragte ist zudem Ansprechperson für alle Bürger*innen.
Perspektive von Betroffenen stärken
Die Polizei arbeitet im Regelfall täterzentriert. Wir wollen die Perspektive der
Opfer und Betroffenen von Straftaten im polizeilichen Alltag stärken und ihre
Bedürfnisse in den Fokus rücken. Wir setzen zudem auf einen beständigen Dialog
zwischen Polizei und Zivilgesellschaft und eine interkulturelle Öffnung der
Polizei. Wir etablieren Formate, in denen diese Dialoge stattfinden können.
Racial Profiling verbieten
Die Bundesrepublik ist von internationalen Organisationen immer wieder für einen
Mangel in der Bekämpfung rassistischer Diskriminierung und für Racial Profiling
bei polizeilichen Kontrollen kritisiert worden. Wir wollen Racial Profiling
gesetzlich verbieten. Zudem schaffen wir eine Möglichkeit für alle Personen, die
von der Polizei kontrolliert werden, eine Quittung über die Kontrolle zu
erhalten.
Feuerwehr, Rettungsdienste und Hilfsorganisationen stark machen
Ein sicheres Sachsen-Anhalt wird auch durch die vielen Haupt- und Ehrenamtlichen
in den Feuerwehren, Rettungsdiensten und Hilfsorganisationen getragen. Wir
unterstützen die Kommunen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben im Brandschutz, bei
der Modernisierung und Beschaffung ihrer Ausstattung sowie durch gute Aus- und
Fortbildungsmöglichkeiten. Wir wollen mehr Menschen für ehrenamtliches
Engagement in den Feuerwehren und Hilfsorganisationen begeistern.
Neugründung des Verfassungsschutzes
Die überkommenen Strukturen des Verfassungsschutzes sind reformbedürftig. Unter
bündnisgrüner Beteiligung sind wichtige Schritte bei der Reform der
Verfassungsschutzbehörde in Sachsen-Anhalt auf den Weg gebracht worden.
Transparenz und parlamentarische Kontrolle wurden gestärkt, gesetzliche Regeln
für den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel wie V-Leute geschaffen. Eine
Erweiterung der Befugnisse der Behörde lehnen wir ab. Unser Ziel bleibt die
Neugründung des Verfassungsschutzes in Form einer verkleinerten Behörde, die
nachrichtendienstliche Mittel anwendet. Ihr zur Seite stehen soll zukünftig eine
unabhängige Stelle zur wissenschaftlichen Analyse von Gefahren für Demokratie
und Rechtsstaatlichkeit.
Konsequenter Kampf gegen islamistische Gefährder*innen
Wir Grüne lehnen jegliche islamistische Bestrebung konsequent ab. Islamist*innen
bekämpfen unsere liberale Gesellschaft und unsere freiheitlich-demokratische
Grundordnung. Die islamistischen Attentate in Deutschland und Europa haben
gezeigt, dass vom gewaltbereiten Islamismus weiterhin eine große Gefahr ausgeht.
Die Sicherheitsbehörden wollen wir daher in die Lage versetzen, konsequent gegen
islamistische Gefährder*innen vorgehen zu können. Im Fall eines besonders hohen
Gefährdungspotentials muss eine engmaschige Überwachung sichergestellt werden.
Als ultima ratio sollen bei Vorliegen der rechtsstaatlich gebotenen
Voraussetzungen auch Abschiebungen nicht ausgeschlossen werden.